Terminservicestelle die zweite

Alle Sätze, die mit „ich dachte,…“ beginnen, enden in einer Katastrophe. 

Ich habe lange gegen die Terminservicestelle geschimpft – sie wird keine neuen Kapazitäten öffnen und geht also am Problem vorbei. https://sensse.net/?p=1005

Nun haben wir aktuell Termine frei, weil ich so oft „Nein“ sagen musste, dass viele Kollegen nicht mehr nach Terminen fragen. Notfalltermine werden deshalb zur Kaffeepause. Also habe ich als chronisch unbelehrbarer Optimist nach 2 Jahren wieder Termine für die Servicestelle zur Verfügung gestellt. 

An der Software für Ärzte hat sich einiges geändert. Man sieht einen Wochenplan, in dem man im Viertelstundentakt 0-24 Uhr Termine anbieten kann – wenn man will, auch Sonntags oder Weihnachten. Serientermine konnte man schon mit der alten Software einstellen. Jetzt kann man entscheiden, ob Patient, Hausarzt oder Terminservicestelle oder auch alle drei die Termine buchen dürfen.  Das Backend sieht besser aus.

Patienten brauchen weiterhin einen TSS-Code.

Hausärzte sehen die freien Termine der umliegenden Fachärzte, wenn sie etwas eingestellt haben. Als Facharzt kann ich dieses Menü leider nicht sehen, aber ich konnte bei einem Hausarzt spionieren. Bei Orthopädie gab es ein gutes Angebot, bei Neurologie gar keins. Bei Kinderorthopädie war genau ein Angebot drin – unseres. Bei Rheumatologie hat tatsächlich ein Halberstädter Kollege Termine im Angebot – wir sind nicht allein.

Für die nächsten Tagen habe ich 14 Termine eingestellt, 11 sind innerhalb dreier Tage gebucht. Zuerst haben 5 mal internetaffine Patienten selbst gebucht, dann 4x die Terminservicestelle und jetzt zweimal derselbe Hausarzt. Bei der Hausarztbuchung gibt es die interessante Möglichkeit, den Konsultationsgrund zu kommunizieren und so weiß ich schon, dass ich eine Rheumasuche wegen eines Augenrheumas vor mir habe. 

Heute kam der erste Patient.

  • Gut: Der Rheumaverdacht war berechtigt.
  • Schlecht: Der Verdacht besteht seit 2 Jahren, Dringlichkeit ist anders.
  • Ganz schlecht: Der Patient hatte von den vielen Unterlagen der Vordiagnostik genau einen Laborbefund dabei. Mehrere MRT-Befunde liegen bei 2 Orthopäden und dem Hausarzt. Bei den Röntgenbildern hatte der Patient drei Ideen, wo sie denn gefertigt sein könnten. Da er weder Namen noch Adressen hatet, muss er jetzt suchen und dann mit den Bildern und Unterlagen noch einmal kommen. 140 km und ein Vormittag umsonst. Er hat bei der Terminbuchung zweimal gelesen: „Bitte Unterlagen mitbringen!“. Aber er dachte, wir können auch „da“ (wo denn?!?) anrufen. Er dachte auch, er habe jetzt eine elektronische Patientenakte. Da stehe alles drin, auch wenn er nichts reingetan hat. Merke: Der denkende Mensch ist dem HErrn eine Freude, der Dachtende ist IHm ein Gräuel.

Die Terminservicestelle hat sich gut weiterentwickelt. Nur die zentrale Botschaft: „Bitte kommen Sie mit den vorhanden Unterlagen, ein Arzt ist kein Prophet.“ ist noch nicht angekommen. Also werden wir Neupatienten weiter vorzugsweise über Notfallfax mit vorher gesehenen Unterlagen behandeln.

Statistik 14 Tage später:

20 TSS-Patienten sind durch. Sechs Patienten hatten ein Rheuma und haben eine Therapie. Beim 5 weiteren läuft die Diagnostik, der Rheumaverdacht ist hoch. Neun Patienten hatten bekannte chronische Schmerzsyndrome, Depressionen, vielerlei Symptome, bei denen auch im Ansatz der Rheumaverdacht nicht nachvollziehbar war. Aber das Motto „Was man nicht erklären kann, sieht man gern als Rheuma an.“ ist wohl auch bei Hausärzten verbreitet. Trotzdem: 50 % Trefferquote bei Verdachtstellung durch unbekannte Partner ist gut.

20 TSS-Patienten kamen, 18 kamen mit Unterlagen, 17 mit guten Unterlagen. Ich bin begeistert.

Zweimal kamen Patienten, bei denen uns der sprachliche Zugang fehlte. Natürlich ist es eine Leistung, wenn ein Patient aus dem Raum Bremen ohne Englisch-Portugiesisch- oder gar Deutschkenntnissse bis Gifhorn findet. Der Herr spricht wohl guinabissauisches Kreol, einen neue Sprache aus einem Vielvölkerstaat in Westafrika, zu der die passende Schriftsprache gerade entwickelt wird. Da hatte der Google-Translator keiner Chance und so muss der Herr noch einmal mit Dolmetscherin kommen. Medizin mit Migranten bleibt eine Herausforderung, für die uns die Ressourcen fehlen.

Projekt Terminservicestelle wegen hohem Krankenstand bei uns vorerst eingestellt.

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