Prüfungsverfahren der Audi-BKK

Wenn Ärzte Budgets überziehen, Medikamente in Fällen verordnen, für die das nicht zugelassen ist oder im Sprechstundenbedarf Medikamente beziehen, die nicht in der aktuellen Liste der Sprechstundenbedarfsvereinbarung stehen, werden sie zur Kasse gebeten. Wir haben etwa ein derartiges Verfahren pro Halbjahr, von 30 € bis 12 Millionen € waren schon verschiedenste Summen dabei.

Das größte derartige Verfahren war ein Richtgrößenprüfung für den Medikamentenverbrauch für das Jahr 2013 über 12 Millionen €, der im Oktober 2015 erstinstanzlich und Dezember 2019 zweitinstanzlich verhandelt wurde und bei dem die Nichtvergleichbarkeit und damit die Nichtprüfbarkeit der Praxis festgestellt wurde. Genaueres kann man hier finden.

Nach dem Freispruch scheinen wir die Audi-BKK verärgert zu haben. Wir haben auffällig viele Prüfungsverfahren der Audi-BKK, genau gesagt 8 von 9 Verfahren insgesamt. Auch die Streitkultur der Kassen unterscheidet sich erheblich.

November 18:

Die Audi-BKK fordert 4907,61 € für eine Verordnung Enbrel aus 1/2015, das nur bei axialer Spondylarthritis zugelassen ist, bei einem Patienten mit axialer Spondylarthritis und Morbus Reiter. Man kann auch 2 Rheumas haben. Antrag später abgelehnt.

Die Audi-BKK fordert 36,75 € für eine Packung eines Duloxetin-Nachahmers und bei einer anderen Patientin 5,85 € wegen des Originals von Duloxetin. Duloxetin ist international Therapiestandard bei der Fibromyalgie und international, aber nicht in der EU für Fibromyalgie zugelassen. Eine Zulassung hat es für Depressionen und Angststörungen. Ein Regress von 42,60 € wurde festgelegt und bezahlt. Drei Punkte sind an dem Verfahren über die Fibromyalgie und Duloxetin bemerkenswert.

  1. Ein Prüfungsverfahren wegen 5,85 € könnte unter die Geringfügigkeitsgrenze fallen. Das Verfahren kostet Tausende, aber nicht die Audi-BKK, sondern nur die Allgemeinheit.
  2. Es wäre zu erklären, wieso das Original von Duloxetin nach Abzug von Steuern, Patientenanteil und Krankenkassenrabatt 5,85 € kostet, der politisch gewollte billigere Nachahmer dagegen 36,75 €.
  3. Ein Prüfungsverfahren und ein Regress sollen den Arzt schulen und von seinem Fehlverhalten abbringen. Nach dem Regress haben wir uns überlegen müssen, was wir mit den 250 Fibromyalgiepatienten tun, von denen ein großer Teil Duloxetin bekommt. Die Audi-BKK warf uns auch fachfremde Behandlung vor, Fibromyalgie gehöre nicht zum Rheumatologen. Also haben wir die Patienten systematisch zum Schmerztherapeuten geschickt, der a) auch einen Terminmangel hat und b) genauso von der Audi-BKK wegen Duloxetin geprüft wurde. Die Patienten sind aus der Versorgung gefallen oder haben Behandlungsplätze außerhalb des Wirkungsbereiches der Audi-BKK gefunden. Wir bieten seitdem keine Therapie der Fibromyalgie mehr an und haben noch knapp unter 50 Patienten, die in der Regel ein zusätzliches entzündliches Rheuma oder eine psychiatrisch diagnostizierte Angststörung haben.

Februar 19:

Die Audi-BKK fordert 4909,07 € für Enbrel aus 2/2015, gleicher Patient wie November 2018. Antrag abgelehnt. Kann man solche Verfahren nicht zusammenlegen? Weiß die Audi-BKK beim Erstverfahren 2018 nicht, was sie 2015 ausgegeben hat oder möchte sie die Anzahl der Verfahren erhöhen?

Die Audi-BKK fordert 196,55 € für eine dritte Fibromyalgiepatientin mit Duloxetin. Antrag stattgegeben und bezahlt.

Mai 19:

Die Prüfungsstelle schließt das erste Verfahren zu Enbrel zu unseren Gunsten ab, Duloxetin mussten wir bezahlen.

Juli 2019:

Die Audi-BKK fordert am 27.7.19 4700,47 € für eine Packung Olumiant aus 2017, weil die Behandlung nicht leitliniengerecht vorher mit dem günstigeren Methotrexat stattgefunden hat. Die vorbehandelnde Kollegin hatte mit Methotrexat behandelt, es wurde nicht vertragen. Das war allerdings aus der EDV der Kasse nicht ersichtlich, weil die Praxis das Methotrexat aus dem Therapierückläuferbestand weitergereicht und nicht rezeptiert hat.

Die Audi-BKK fordert  am 31.7.19 in einem zweiten Verfahren 9000,98 € für zwei Packungen Olumiant aus 2018 bei der gleichen Patientin. Man hätte 9400,94 € fordern können, weil das Medikament immer noch 4700,47 € kostet. Die mathematischen Fähigkeiten der Audi-BKK sind hier nicht Thema. Ablehnung beider Regressanträge im März 20.

August 2019

Die Prüfungsstelle schließt auch das zweite Verfahren über eine Packung Enbrel zu unseren Gunsten ab.

September 2019:

Die Audi-BKK wirft mir einen off-Label-use von Cosentyx vor über mehrere tausend Euro vor. Ursache war eine EDV-bedingte Fehlcodierung einer Diagnose. Prüfantrag abgelehnt.

August 20

Die Audi-BKK stellt einen Prüfantrag wegen Rezeptierung von Allergospasmin, einem Notfallmedikament für Asthmatiker. Ich habe es für eine Rheumatikerin mit zusätzlichem Asthma rezeptiert, weil die Lungenärztin langfristig erkrankt und das Notfallmedikament verfallen war. Dadurch wurde das Asthma in dem Quartal nicht dokumentiert und prompt gab es ein Prüfungsverfahren. Ablehnung des Begehrens im Januar 21.

Zwischenspiel: mal nicht die Audi-BKK. Die Siemens-BKK wirft mir für 11828,91 € vor, ein Biologikum bei Psoriasis-Arthropathie eingesetzt zu haben, ohne vorher die Vergleichstherapie einzusetzen. In dem Falle war richtig Archivarbeit nötig. Der Patient war 1980 erkrankt, da war ich noch Student. Er bekam Methotrexat 1999, da wurde ich Facharzt. Die damals behandelnden Ärzte waren durchgängig im Ruhestand oder verstorben. Es gab noch Unterlagen an einer Uniklinik, die ihr Archiv für Forschungszwecke länger aufhält, sonst hätte ich das bezahlen müssen. Nach Zusendung der Behandlungsaltunterlagen hat die Siemens-Betriebskrankenkasse den Prüfungsantrag mit Bitte um Entschuldigung für den Aufwand zurückgezogen.

Die Prüfungsstelle stellt die Stellungnahme der beklagten Ärzte den Antragstellern (Krankenkassen) regelhaft zur Verfügung mit der Frage, ob das Verfahren zurückgezogen werden soll. Ein Einlenken bei sinnlosen Verfahren zur Kostensenkung und Reduktion des Nervenkrieges habe ich schon bei einer AOK und hier bei der Siemens-BKK gesehen, aber nicht bei der Audi-BKK. Schade.

Juli 21

Zwischenspiel: Die AOK Sachsen-Anhalt fragt im MDK-Verfahren bei einem Patienten mit adultem Morbus Still, einem seltenen Rheuma, warum das teure Canakinumab mit Jahrestherapiekosten über 120.000 € und nicht das wesentlich günstigere Tozilizumab für 20.000 € bei einem Patienten eingesetzt wird und ob es nicht möglich ist, die wirtschaftlichere Alternative Tozilizumab einzusetzen. Das fragt die AOK nicht über die Prüfungsstelle Niedersachsen, sondern auf dem kleineren Dienstweg über den medizinischen Dienst der Krankenkasse. Es geht also auch einfacher. Wir haben uns die Anfrage zum Anlass genommen, alle Morbus-Still-Patienten und alle Canakinumab-Patienten zu überprüfen und einen Patienten gefunden, bei dem eine Ersparnis möglich war. Kommentar: So soll ein Prüfungsverfahren laufen – kleine Anfrage, große Wirkung für die Allgemeinheit, leider nicht für die AOK Sachsen-Anhalt. Es betraf nicht ihren Patienten, der hatte die Alternative nicht vertragen. Da war er noch nicht bei der AOK, das konnten die Mitarbeiter also nicht wissen.

September 23

Die Audi-BKK fordert 107,20 € für die Verordnung von Pregabalin aus 1/22. Pregabalin ist ein Medikament gegen Nervenschmerzen. Die Patientin hat ein Rheuma und dadurch unter anderem chronische Nervenschmerzen. Sie bekommt seit 2016 Pregabalin, wechselseitig vom Schmerztherapeuten oder von uns. Leider stand in dem betreffenden Quartal die Diagnose „chronisches Schmerzsyndrom mit somatischen und psychischen Faktoren“ nicht drin, sondern nur in den Vor- und Nachquartalen. Am 19.9.23 ging unser Antwortschreiben an die Audi-BKK und die Prüfungsstelle.

November 23

Die Audi-BKK fordert 102,84 € für die Verordnung einer weiteren Verpackung Pregabalin aus 2/22 bei der gleichen Patientin. Man hat das Antwortschreiben zum ersten Fall nicht zu Kenntnis genommen, man weiß es nicht zu deuten oder man möchte sich streiten. Und man ist technisch nicht in der Lage oder nicht willens, beim Starten eines Prüfungsverfahrens zu überprüfen, ob es Folgeverordnungen gibt, die man einschließt, damit der Streitwert über die Geringfügigkeitsgrenze kommt.

Februar 2024: 

Die Prüfungsstelle teilt mit, dass die Prüfungsverfahren wegen Pregabalin zu unseren Gunsten ausgegangen sind. 

 

Zusammenfassung:

Prüfungsverfahren nerven, man fühlt sich bedroht. Es gibt einen kleinen Dienstweg, den die Audi-BKK nicht nutzt. Es gibt die Möglichkeit, die Zahl der Verfahren zu reduzieren und mehrere Quartale zusammenzufassen, die die Audi-BKK nicht nutzt. Es gibt die Möglichkeit, Verfahren abzukürzen, wenn man Unrecht hat – die die Audi-BKK nicht nutzt. Ich bestreite nicht das Prüfungsrecht der Audi-BKK. Aber ich denke, die Audi-BKK missbraucht dieses Recht.

Und Prüfungsverfahren ändern etwas am Verordnungsverhalten der Ärzte. In einem Fall haben wir eine Möglichkeit gesehen, viel Geld zu sparen. Dankeschön! Im dreimal monierten Falle von Duloxetin haben wir die Verordnung des Medikamentes eingestellt und die Behandlung der Patienten, bei denen immer wieder eine Klinik oder Rehaeinrichtung das Medikament ansetzt, nicht mehr angeboten. Für die Fibromyalgiepatienten hat sich damit die Situation sehr verschlechtert, denn auch andere hatten ein Prüfungsverfahren wegen Duloxetin. Leider gilt in unserer Ellbogengesellschaft „Selbstschutz ist ein wichtiger Teil der Professionalität. “ auch für Ärzte.

Ich habe mich beim Bundesamt für Soziale Sicherung, der Aufsichtsbehörde der überregionalen Krankenkassen, über die Audi-BKK beschwert. Ich erwarte nicht, dass ich das Verhalten der Krankenkasse ändere. Möglicherweise bekommt mir die besondere Aufmerksamkeit der Kasse auch schlecht, die haben mehr Anwälte. Trotzdem kann man es versuchen. Wer gegen Rechtsaussen demonstriert, riskiert auch Ärger und trotzdem ist das Aufstehen richtig.

Immerhin habe ich schon eine schriftliche Stellungnahme des Bundesamtes: „Beschwerde eingegangen.“

Februar 24 kam die endgültige Stellungnahme:

Das Bundesamt für Soziale Sicherung teilt mit, dass die Audi-BKK zu unserer Beschwerde über die immer wieder bis zum Ende ausgekosteten Prüfungsverfahren Stellung genommen habe. Das Bundesamt stellt fest, dass sich die Audi-BKK innerhalb des gesetzlichen Rahmens bewege. Nun, das habe ich nie bestritten. Insbesondere sei die BKK der Auffassung, dass das Ergebnis von Prüfungsverfahren besser akzeptiert werde und eine bessere erzieherische Wirkung für künftige Verfahren habe, wenn es bis zum Spruch der Prüfungskommission durchgezogen werde. Das klingt gut, logisch und lässt mich an der Zurechnungsfähigkeit der Prüfungssachbearbeiter zweifeln:

Ein für die Audi-BKK absehbar klar verlorenes Verfahren wird also nicht vorzeitig beendet, weil die Akzeptanz besser ist. Ich werde sicher beim Rückzug der Gegenseite nicht klagen, wenn ich meine langanhaltende Bürokratie nicht bekommen. Also meinen die Sachbearbeiter, sie selbst akzeptieren die Ergebnisse ihrer Prüfungen erst, wenn sie ganz sicher von höchster Stelle Unrecht bekommen haben? Das klingt nach institutionalisierter Starrköpfigkeit und Unbelehrbarkeit.

Und es habe also eine bessere erzieherische Wirkung, wenn die Verfahren bis zum Ende durchgezogen und verlängert werden. Die Audi-BKK wünscht also ihre „Partner“, die Ärzte, aus erzieherischen Gründen zu nerven, selbst wenn sie weiß, dass sie Unrecht hat. Es ist rechtens in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist nicht partnerschaftlich und ein großer Beitrag gegen die Entbürokratisierung in der Medizin. 

 

 

 

 

 

 

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