Normalerweise muss man als Arzt lebenslang Angst vor einer Regreßzahlung wegen Überziehung der Medikamentenkosten haben. Bisher hatten wir da mäßige Erfahrungen. 2003, 2004, 2005 und 2006 endeten jeweils mit einer Anerkennung der Wirtschaftlichkeit (=Freispruch) vor der Prüfungskommission. Es kostete nur jeden Sommer 4 Wochen a 5 Abende pro Wochen und alle Wochenenden, die benötigten Daten aufzubereiten. Allein das frustriert. Und es bleibt immer unklar, ob die Kosten nächstes Jahr wieder anerkannt werden.
2013 war der Vorwurf der Krankenkassen 3,8 Mio €, die Prüfungskommission bescheinigte die Wirtschaftlichkeit Ende 2017. Aber die Krankenkassen gingen ins Widerspruchsverfahren. Am 20.12.18 war die Verhandlung vor der Prüfungsstelle Hannover.
Ich fand die Terminwahl übel, weil ich darauf gefasst war, dass die Prüfungsstelle nach nichtöffentlicher Verhandlung ihre Entscheidung frühestens Anfang 2019 bekannt gibt. Ich wusste auch nicht, ob ich dort überhaupt einen Vortrag leisten soll. Kollegen, die dort standen, berichteten, dass eh nicht zugehört würde, auch keine Fragen gestellt würden und das das Urteil eh feststehe. Meine Erfahrung ist besser.
Die 20 Minuten Vortragszeit habe ich ausgenutzt, um die Probleme um die fehlenden Budgets eines Rheumatologen zu erläutern. Es wurde genau zugehört. Es gab Fragen, sowohl zum Vortrag als auch zur Situation der Praxis. Unfreundlich, uninformiert oder unpersönlich war in der Widerspruchskommission niemand – im Gegenteil. Ich hatte die Wahl, dazubleiben und dass Ergebnis abzuwarten oder am Folgetag anzurufen.
Ergebnisse: Zunächst wurde unserer Praxis die Wirtschaftlichkeit attestiert. Das war erhofft, eigentlich auch erwartet.
Dann wurde der Praxis die Nichtvergleichbarkeit mit anderen Orthopädenpraxen und damit die Nichtprüfbarkeit attestiert. Im Klartext heißt das: Keine weiteren Prüfverfahren wegen Medikamentenkosten bis zur Rente. Das ist ein Geschenk, das viel Sicherheit bei der weiteren Verordnungen gibt.
Und dann wurde mir auch noch vor versammelter Kommission erläutert, dass dieses Verfahren Anlass gibt, die derzeitige Prüfungspraxis zu überdenken. Wenn ich einen kleinen Beitrag dazu leisten konnte, dass Ärzte seltener Prüfungsverfahren erleiden müssen, dann bin ich stolz.
Nachsatz: Besonders blieb mir im Gedächtnis, wie der Vorsitzende der Kommission erläutete: „Die schlaflosen Nächte, die Wut und die Angst vor den Konsequenzen der notwendigen Verordnungen und die viele Arbeit kann Ihnen niemand wieder gutmachen. Aber nehmen Sie es als Trost, dass Sie das nie wieder vor sich haben.“ Ja, nehme ich. Es ist ein Geschenk, das wir weitergeben können. Und genauso, wie Familie, Mitarbeiter und Patienten unter einen Regressverfahren mitleiden, sollen sie jetzt einen ruhigen ausgeglichenen Arzt, Chef und Vater erleben, der keine Angst mehr vor der Krankenkasse haben muß.
3 Wermutstropfen: 1. Ungeklärt ist immer noch, ob es Regresse wegen der Kosten von Physiotherapie gibt. Auch hier sollten wir unvergleichlich sein.
2. Die Kassen sticheln weiter mit Einzelfallprüfungen. Derzeit habe ich ein Prüfungsverfahren der Audi-BKK am Hals, die überprüfen lässt, ob man die Kosten von Duloxetin (Standard bei Fibromyalgie, dafür aber nicht zugelassen) von den Ärzten zurückholen kann. Es geht hier nicht um Millionen, es bedroht nicht. Aber es ist schlimm für die betroffenen Patienten, die einen gewohnten Wirkstoff nicht mehr legal erhalten.
3. Unsere Anerkennung Rheumatologie als Praxisbesonderheit für 2019 ist noch nicht durch. Es ist schon seltsam, dass wir zwar 2019 zwar Rheumapatienten behandeln dürfen, aber noch nicht wissen, wie wir morgen abrechnen sollen. Eine Arztpraxis ist auch ein Wirtschaftsbetrieb, der Mitarbeiter bezahlt. Abrechnen dürfen wäre echt nett und der Fakt, dass man die Anerkennungen immer nur ein Jahr im Voraus bekommt, ist ein Unding.
Gesundes Neues Jahr!