Wartezeit und andere Dauerbaustellen

Wartezeit und andere Dauerbaustellen

Wenn man zum Arzt geht, erwartet man Lösungen für Probleme – und das möglichst schnell, freundlich und kompetent. Leider ist diese Erwartung ebenso berechtigt wie unrealistisch. Hier sind die Top 10 der Enttäuschungen in einer Arztpraxis:

1. Wartezeit

Eine gute Lösung des Wartezeitproblems ist schwer vorstellbar: Entweder wird mit Terminen gearbeitet, dann steigt mit steigender Nachfrage die Wartezeit schnell in den mehrwöchigen Bereich an. Einige der umliegenden Rheumatologen nehmen keine  neuen Patienten mehr an, damit steigt der Druck auf die, die das noch versuchen.

Oder man vergibt die Termine arbeitstägig an die Patienten, die gerade vor dem Tresen stehen und macht irgendwann einen Schnitt: „Nach Ihnen heute keiner mehr!“.  Dann entsteht jeden Morgen eine wütende Masse von 20-40 Patienten auf der Treppe, die das Personal schon am Öffnen der Praxistür hindert. Auch die Unmutsäusserungen der ersten, die keinen Termin bekommen, sind fürs Personal schwer zu verkraften.

Derartige Zustände kennen wir aus unseren Ausbildungszeiten. Eine den kompletten Arbeitstag füllende Warteschlange schon morgens um drei und Patienten, die vor der Praxis übernachteten, waren keine Seltenheit. Daher haben wir uns für die Führung einer Terminpraxis entschieden.

Das bedeutet, keine Patientenannahme ohne Termin!

Termine gibt es (Stand Juli 2017) bei Frau Dr. Sensse für die Kinderorthopädie nachmittags innerhalb 4 Wochen, für die Osteologie und die allgemeine Orthopädie vormittags innerhalb 4 Wochen. Rheumatologie und eine Erwachsenensprechstunde am Nachmittag bietet Frau Dr. Sensse nicht an.

Bei Herr Dr. Sensse gibt es Termine für Orthopädie, Rheumatologie und Osteologie innerhalb von 18 Wochen. Das ist gegenüber 4-6 Wochen bei anderen Orthopäden im Umkreis lange, gemessen an den 6-9 Monaten Wartezeit beim Rheumatologen in Braunschweig und Hannover ist es relativ kurz.  Eine Kindersprechstunde bietet Herr Dr. Sensse nicht an. Leider steigen die Warteschlangen derzeit pro Monat um etwa eine Woche an.

2. Notfalltermine

Jeder Mensch, der Schmerzen hat, sieht eine Dringlichkeit. Recht hat er! In der Orthopädie ist 90% aller Konsultationsgründe ein Schmerz. Damit können wir Schmerzpatienten nicht vorziehen, es bliebe niemand hinten und so nutzt das Vorziehen niemand.

Dringende Termine gibt es  bei klar umrissenen Krankheitsbildern:

  • Frisch Verletzte behandeln wir ohne Termin wie die meisten anderen auch. Verletzungen kann man nicht planen. Frisch ist eine Verletzung aus den letzten 3 Tagen, die noch kein anderer Arzt gesehen hat.
  • Dringende Rheumaabklärungen kann der behandelnde Hausarzt oder Facharzt mit dem Zuweisungsformular per Fax anmelden. Patienten selbst haben in der Regel nicht die nötigen Unterlagen, um sich anzumelden.
  • Rheumatologische Frühsprechstunde ist ein Projekt, zu dem Kriterien zu erfüllen sind:
    – neu oder wiederholt aufgetretene weiche Schwellung eines oder mehrerer Gelenke seit maximal 3 Monaten
    und zusätzlich eines der zwei folgenden Kriterien:
    – Morgensteifigkeit der Gelenke, die mindestens 30 Minuten oder länger andauert
    – erhöhte Entzündungsparameter (BSG oder CRP). 
    Das machen wir gern, weil bei frischem Rheuma die Behandlungschancen besonders hoch sind. Auch das läuft über das Anmeldeformular.
  • Im Bereich Osteologie nehmen wir frische Frakturen und Frakturverdachte der Wirbelsäule kurzfristig. Das entsprechende Faxformular für Hausärzte wird gerade abgestimmt.
  • In der Kinderorthopädie ist ein frisch aufgetretenes Hinken bei Vorschulkindern und die Säuglingssonographie ein Grund für extraschnelle Termine.
  • Dringende Facharzttermine verteilt die TerminServiceStelle unter der Telefonnummer 0511-56 99 97 93 montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr, wenn Ihr Hausarzt Ihnen einen entsprechenden Code ausgestellt hat. Eine freie Arztwahl hat man dann nicht mehr. Wir bekommen die Patienten von Lüneburg über Stendal, Goslar bis Nienburg über die Terminservicestelle zugewiesen.
  • Rücküberweisungen von Patienten, die wir in ein Krankenhaus eingewiesen haben und Management von Komplikationen eigener Behandlungen benötigen keinen Termin.

Aber das war es dann auch schon mit der Dringlichkeit. Um das oben genannte zu leisten, müssen alle anderen warten.

3. Der Arzt hat viel Zeit

Der Arzt möchte viel Zeit haben.  Leider stehen 720 Sprechstunden im Quartal 2500 Patienten  gegenüber – das sind 18 Minuten pro Patient. Diese 18 Minuten stehen nicht pro Termin, sondern für alles: Erstuntersuchung, Folgetermine, Auswertung, Aufklärungsgespräch – oft drei Termine vom Erstkontakt bis zur laufenden Therapie. Erfreulicherweise gibt es immer mehr Patienten, die gut eingestellt sind und nur ihre Weiterverschreibungen plus Routinekontrollen  benötigen, das geht schneller als 18 Minuten.
Dafür kann man für einen neuen Rheumatiker mit 15 erkrankten Gelenken und inneren Beteiligungen, einen Menschen mit psychosomatischem Krankheitsbild, einen älteren Menschen mit eingeschränktem Aufnahme-, Seh- und/oder Hörvermögen oder einen der vielen, die kaum ein Wort Deutsch verstehen, leicht eine Stunde benötigen. Es ist immer zu wenig Zeit!

Viele Aufklärungen laufen über schriftliches Aufklärungsmaterial und Ermunterung zu Patientenschulungen und Selbsthilfegruppen. Fragen werden beantwortet, wenn die Fragelisten nicht ausufern. Vor Beginn von Rheumatherapien gibt es 24 Stunden Bedenkzeit. Trotzdem bleibt vieles ungesagt.

4. Folgerezepte

„Ich brauche doch nur ein Rezept!“  ist der häufigste Wunsch am Tresen vorn in der Praxis. Steigerung für einen Fehlschlag ist „Ich brauche das Rezept für meine Schwiegermutter!“ – und die Chipkarte ist auch nicht dabei.

Es gibt wie so oft verschiedene Konstellationen:

Medikamente
  • Fortführung einer laufenden Therapie mit Schmerzmitteln oder Osteoporosemedikamenten – kein Problem, wenn die Therapie läuft und es nicht gerade ein Betäubungsmittelrezept bei starken Schmerzmitteln sein soll. Das geht in der Regel ohne Termin. Absolutes Minimum ist trotzdem ein Arzttermin im Jahr.
  • Fortführung der laufenden Rheumatherapie – da gibt es diverse Laborabnahmepflichten von 4-wöchig bis halbjährlich je nach Medikament. Die Dauerpatienten haben ihre Termine und ihre Rhythmen. Aber manchmal gab es verpasste Termine oder andere Unplanbarkeiten. Dann kann man helfen, wenn entweder gültige Laborbefunde aus den letzten 6 Wochen da sind oder wir die Chance haben, die Blutabnahme schnell zu machen. Das kostet Zeit und Nerven und geht meistens, aber nicht immer.
  • Der Wunsch nach einem anderen Medikament oder Dosiserhöhung – so etwas muss in jedem Falle der Arzt klären und dazu braucht es ein Zeitfenster.
  • Betäubungsmittelrezepte gibt es auch nur, wenn regelmäßige Kontrollen stattfinden – eigentlich selbstverständlich.
Heilmittel (Krankengymnastik / Ergotherapie)

Hier haben wir ein Problem mit dem Sozialgesetzbuch § 32 Heilmittel und der Heilmittelrichtlinie. Die sagt: „Vor der Verordnung von Heilmitteln muss sich der Arzt unter Einbezug entsprechender Diagnostik vom Zustand des Patienten überzeugen und diesen dokumentieren. Dies gilt auch für Folgeverordnungen.“ Das bedeutet im Klartext: Keine Heilmittelrezepte ohne Untersuchung und Dokumentation – und das ist ohne Termin schwer vorstellbar.

5. Pharmaindustrie

Wieso bekommt mein Arzt Geld von der Pharmaindustrie? Grundsätzlich darf ein Arzt für die Verordnung von bestimmten Medikamenten, die Empfehlung bestimmter Physiotherapeuten, Krankenhäuser oder Orthopädietechniker kein Geld (und keine geldwerten Vorteile) annehmen. Dagegen hat man die Straftatbestände der „Bestechlichkeit im Gesundheitswesen“ (§ 299a StGB) und der „Bestechung im Gesundheitswesen“ (§ 299b StGB)  geschaffen. Die große Koalition hat da viel Lärm gemacht, verboten war es vorher auch schon.

Der Grund der Geldflüsse ist ein anderer, legal und sinnvoll: Es gibt immer wieder neue Medikamente. Alle in Deutschland verordnungsfähigen Medikamente  sind an Patienten erprobt und zugelassen, trotzdem ist die Datenlage zu Wirksamkeit, Risiken und Nebenwirkungen oft dünn. Dann laufen in den ersten Jahren der Post-Marketing-Phase die sogenannten Anwendungs-beobachtungen. Da werden im Google-Prinzip (Daten erstmal sammeln, ob wir eine Struktur darin finden, und was wir damit machen, verraten wir nicht immer) Informationen gesammelt und dann für Sicherheitsinformationen (gut so) und Marketing (blöd, aber legal) geschürft und aufbereitet.

Wir sollen viele Daten zu den Medikamenten und den Patienten, die sie bekommen, sammeln, uns die datenschutzrechtliche Einwilligung der Patienten holen, dann alles anonymisieren, in Computer eintippen und dann der Pharmaindustrie zur Verfügung stellen, damit die es wieder ihrer (staatlichen) Aufsichtsbehörde zeigt. Das ist richtig Arbeit, bis zu 3 Stunden pro Patient. Das kostet Arbeitszeit und dazu muss man erstmal motiviert werden. Üblicherweise wird man in der Bundesrepublik Deutschland mit Geld motiviert.

Alternativ könnte man natürlich zu allen neuen Medikamenten eine öffenlich finanzierte Studie für alle machen. Dann wären die Daten sauberer, weil alle erfasst würden, und der Vorwurf der Bestechlichkeit wäre weg- allerdings auch öffentliche Gelder.

6. Telefonische Erreichbarkeit

Wir haben eine neue Telefonanlage, für die eingehenden Gespräche gibt es eine einfache Fritzbox. Hier können wir jeden Tag unter „Anrufe“ sehen, wie viele und welche Anrufer uns zu erreichen versuchen.

Statistik 26.6.17:

Anrufversuche: 250 von 112 verschiedenen Nummern

Angenommene Gespräche : 68

Das heisst: trotz zweier offener Leitungen sind nur zwei Drittel der Anrufer irgendwann durchgekommen und drei von 4 Gesprächsversuchen endeten auf einem Anrufbeantworter. Trotzdem haben die, die durchkamen, auch heute wieder die Warteschlange um 3 Tage verlängert. es gab auch schon Tage mit 700 Anrufversuchen. Da kamen auch nur um die 70 durch.

Zusammenfassung: Die telefonische Erreichbarkeit bleibt schlecht, solange wir mit Terminwünschen überrannt werden.

Und da wir eine Arztpraxis betreiben und kein Callcenter, werden wir auch nicht zwei weitere Leitungen freischalten, damit nicht zwei, sondern vier Mitarbeiterinnen den ganzen Tag am Telefon sagen können:

  • Nein, ich habe wirklich keine kurzfristigen Termine.
  • Nein, es hat auch niemand abgesagt.
  • Nein, wir rufen nicht zurück, wenn jemand absagt. Wir werden die Termine sofort wieder an Patienten los, mit denen wir schon ein Behandlungsverhältnis haben.
  • Nein, Notfälle kann ein Arzt feststellen, nicht der Patient. Also gibt es am Telefon auch keine Notfalltermine.
  • Nein, telefonische Sprechstunde können wir mangels Zeit auch nicht anbieten.

Punkte 7-10

werden später geschrieben, das Thema ist einfach deprimierend.

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