Das Elend mit AstraZeneca

Es gibt derzeit für uns drei verschiedene Impfstoffe. Mit zweien sind fast alle zufrieden, der Dritte macht Kopfschmerzen.

Achtung, dieser Beitrag könnte mehr als nur Spuren von Zynismus und Sarkasmus enthalten.

Schon zur Veröffentlichung der Studiendesigns war zu sehen, welcher Hersteller seinem Produkt vertraut. Biontech und Moderna haben gleich zu Anfang mit hohen Patientenzahlen in Hochrisikogebieten getestet, Ältere, Hochbetagte und chronisch Kranke aller Art mit einbezogen. Das zeigt ein gutes Vertrauen in das eigene Produkt. AstraZeneca begann unambitioniert mit handverlesenen gesunden jungen Menschen und hatte so wenig Ältere drin, dass es nicht überall eine Zulassung für Impflinge über 65 Jahre gab.

Gleichnis: Man stelle sich vor, VW bewirbt den Touareg mit seinen Erfolgen bei der Rallye Paris-Dakar. Als Antwort zeigt zum Beispiel Mitsubishi, wie man ohne Wartung von la Rochelle nach Wladiwostok fährt. Dann wirbt jemand damit, dass der Duster auch über den Harz kommt. Das ist eine andere Liga. Aber die meisten von uns müssen noch nicht einmal über den Harz. Es ist ausreichend. 

Ohne Zweifel, der Impfstoff von AstraZeneca wirkt. Englische Daten zeigen das gut. 5 Wochen nach Impfung gibt es keine keine stationären Aufnahmen mehr, keine Beatmeten und keine Coronatoten.

Nachdem die Fachleute schon keine Freude am Studiendesign hatten, wurde die Allgemeinheit im Januar durch die unprofessionelle und unglückliche Art, wie die Impferfolge präsentiert wurden, verunsichert. Erst waren es 60% Impfwirksamkeit, dann 90% (aber nur in einer kleinen Gruppe), dann kam der Fehler mit der falschen Impfdosis zu Studienanfang hoch. Vertrauen geht anders. So möchten viele Menschen lieber den mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer oder Moderna.  Danach geht es nicht. Man hat in den Impfzentren keine Wahl zwischen den verschiedenen Impfstoffen. Man hat nur die Wahl zwischen dem, was jetzt da ist oder einer Impfung irgendwann, wenn für alle genug da ist und man sich das aussuchen darf. Das könnte bis Spätsommer dauern.

Gleichnis: Ein Schiff  geht unter. Jemand wirft Rettungsringe, es sind trotzdem zu wenig da. Dann kann niemand sich den Rettungsring aussuchen oder meckern: „TÜV abgelaufen, AFD-Aufkleber drauf, falsche Farbe …“. Es gibt solche Leute, aber das ist weltfremd und gefährlich. Man kann fordern, dass einem Anderen der bessere Ring weggenommen wird, das ist asozial und wird gerade in Notfällen nicht geduldet. Oder man kann solange kleine Kreise schwimmen, bis man einen Rettungsring nach seinem Geschmack bekommt. Das ist dumm und eventuell tödlich.

Astra-Zenecas Wirkstoff macht mehr Nebenwirkungen als die anderen beiden Impfstoffe. Das ist marketingtechnisch wieder ein Problem. Natürlich hätten wir gerne etwas anderes gehabt, aber das war nicht die Frage. Das Angebot stand nicht, denn die besser verträglichen Impfstoffe waren zu der Zeit für die 80-jährigen reserviert. Priorisierung ist unpopulär, aber nötig. Wir als Praxis sind alle mit Astra-Zenecas Impfstoff geimpft und froh darüber. Niemand kam ohne Nebenwirkungen davon und erst am vierten Tag nach der Impfung waren alle wieder da. Das Gute: Seit der Impfung sind die Sicherheit und das Selbstvertrauen größer, die Angst vor einer Ansteckung durch Patienten ist weg und genauso ist die Sorge weg, selbst in der Praxis zum Superspreader zu werden und ganz viele  Patienten anzustecken. Das ist natürlich etwas irrational und verleitet nicht zum hygienischen Leichtsinn. Voll wirken kann die Impfung erst nach 5 Wochen. Die Angst vor Corona ist erstmal weg und das gibt einfach ein viel besseres Leben. Niemand hat gesagt, dass die Impfung mit Astra-Zeneca leicht ist. Sie ist wirksam und recht sicher, das reichte uns.

Gleichnis: Jemand schenkt Ihnen einen Touareg. Dann haben viele von uns so lange Freude dran, bis der Nachbar einen Porsche geschenkt bekommt. So sind wir Menschen. Es ist trotzdem ein Geschenk und man sollte dankbar sein. Benötigt wird meist nur ein Polo, eventuell reicht ein Fahrrad.

Nun haben wir leider seit dem 15.3.21 die Sperrung des Impfstoffes durch das Paul-Ehrlich-Institut und Herrn Spahn. Was ist passiert? Es gibt 7 Meldungen wegen Blutgerinnseln im Kopf bei 1,5 Millionen Impfungen. Drei Menschen sind leider an den Folgen des Gerinnsels im Zusammenhang mit der Impfung gestorben. Das ist sehr bedauerlich. Deshalb werden jetzt Millionen von Impfdosen zurückgehalten.

Rechnung: 20 Mio Impfstoff von Astra-Zeneca sind bestellt. Wenn man die nicht nutzt, kann man 10 Millionen Menschen ungefähr 4 Monate später impfen. Bei einer Inzidenz von 1:100 (derzeit eine eher nette Schätzung) macht das wöchentlich 10.000 Neuinfektionen mit Covid, also 160.000 zusätzliche Infektionen oder 2.000 unnötige Coronatote. 7 schwere Zwischenfälle auf 1,5 Millionen mach rein rechnerisch 50 auf 10 Millionen – unvergleichlich weniger und der Impfstoff bleibt auch mit diesem Makel die bessere Wahl. 2 Patienten, mit denen ich heute gesprochen habe, wollen abwarten. Alle anderen möchten bitte geimpft werden – auch mit Astra-Zeneca, Hauptsache bald.

Gleichnis: Ein Schiff  geht unter. Jemand wirft Rettungsringe. Leider trifft er dabei einmal jemanden mit dem Rettungsring auf den Kopf. Danach hört er auf, Rettungsringe zu werfen, weil er das schwere Schicksal der Ertrinkenden nicht weiter verschlimmern will. Das ist verständlich. Aber es ist falsch.


Zusammenfassung: Astra-Zeneca hat nicht den besten Impfstoff. Wir sollten ihn nicht nachbestellen. Solange er da ist, würde ich mich wieder mit ihm impfen lassen. Mich, meine Kinder und meine Patienten. Er ist verfügbar, sollte bitte endlich in die Arztpraxen kommen und ich rate allen Patienten dringend dazu, diese Chance zu nutzen. Alternativ kann man warten, bis etwas Besseres kommt. Das ist eine persönliche Entscheidung.


Bleiben Sie gesund!

1.4.2021

Das Elend hat einen Namen bekommen: Vaxzevria heißt der Impfstoff jetzt. Die Probleme gehen weiter. Mittlerweile ist gesichert, dass die Hirnvenenthrombosen nicht wie zuerst vermutet mit der Konstellation „weiblich, Nikotin und Pille“ zu tun haben, sondern mit Autoimmunität. Daher wurde der Impfstoff von Astrazeneca nur noch ab 60 Jahren empfohlen. Wenn der Impfstoff bei Jüngeren eingesetzt wird, soll der Hausarzt ein Aufklärungsgespräch mit Risikoanalyse führen.

Da es hier keine Vorgaben gibt, muss ich mich selbst positionieren: Alle Rheumatiker sind Risikopatienten für Autoimmunvorgänge, ich kann AstraZenecas Präparat nicht mehr mit gutem Gewissen für meine Patienten empfehlen.

Was Ältere von dem Impfstoff von AstraZeneca halten, muss ich mir jeden Tag anhören. Ich zitiere mal Herrn Bundesinnenminister „Nein!“, sagte der 71 Jahre alte Seehofer der „Bild“-Zeitung. „Ich lasse mich nicht bevormunden.“

Am 2.4. kam der nächste Tiefschlag für den Impfstoff: Alle Jüngeren, die schon mit Vaxzevria geimpft sind, sollen beim zweiten Mal bitte mit einem mRNA-Impfstoff versorgt werden, sagt die Ständige Impfkomission.

Aktueller Stand 17.4.: Häufungen von Sinusvenenthrombosen führten zu einer Sperre des Impfstoffes von Johnson/Johnson. Es ist unklar, ob das ein Systemproblem der Vektorimpfstoffe ist, weil wir keine Daten von Sputnik V, der russischen Variante, haben.
Gründe, AstraZeneca nicht zu nutzen, sind nach aktuellem Stand durchgemachte Sinusvenenthrombosen (400/Jahr in Deutschland) und eine durchgemachte heparininduzierte Thrombopenie (4000/Jahr). Vorsicht ist geboten bei Menschen mit durchgemachten Thrombosen oder Embolien, das sind schon mehr. Bei den meisten Patienten kommt der Wirkstoff also weiter in Frage. Die neueste Erkenntnis, dass viele Covid-Patienten eine Sinusvenenthrombose erleiden und durchaus häufig daran sterben, spricht wieder für die Impfung – auch mit Astra-Zeneca.

Nachtrag 24.4.21: Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen haben die Verimpfung von Vaxzevria an Nichtpriorisierte – also alle, bei denen man das Verantworten kann,  freigegeben. Das würde auch bei uns vieles vereinfachen.

Wir bekommen nur dann Biontechs Impfstoff, wenn wir auch die Mindestabnahmemenge AstraZeneca bestellen. Das ist OK, manche Ärzte würden sonst vielleicht kein Vaxzevria ordern. Wir bestellen nicht nur die Mindestbestellmenge. Es könnte mehr sein, wenn die Nachfrage steigt. Für den Kühlschrank ist das Präparat zu schade.

6.5.2021

Unser Gesundheitsminister Jens Spahn hat im WDR am 4.5. geäußert, dass er bei AstraZeneca erstens die Priorisierung aufheben wolle und zweitens eine Verkürzung des Impfintervalles von 12 auf 4 Wochen anstrebe. Das Erste mag sinnvoll sein, das Zweite ist eher Populismus, denn mit 4 Wochen Impfintervall rettet man sicher vielen Leuten den Urlaub und macht den Impfstoff so attraktiver, aber nach aktueller Studienlage gab 12 Wochen Impfintervall eine bessere Impfwirkung als 6 Wochen. Die Wirkung bei 4-Wöchigem Abstand hat noch niemand gemessen, sie dürfte gering sein.

Und während ich das schrieb, hob Jens Spahn die Priorisierung für Astra-Zenecas Impfstoff auf und empfahl gleichzeitig die Impfung flexibel nach dem Tag des Urlaubsantrittes.

13.5.2021

Drei Tage passierte nichts nach der Freigabe von AstraZeneca. Dann kamen die ersten Anmeldungen – mittlerweile zehn Anfragen pro Tag per Mail, also mehr, als wir verimpfen können. Dazu ist der Briefkasten voll, der Faxeingang noch nicht durchgesehen. Weil wir Termine „erst“ 7 Tage später haben, kamen dazu die ersten Absagen. Weiterer Postverkehr entsteht durch Wünsche auf eine schnellere Impfung „12 Wochen bietet das Impfzentrum, ich will nach 6 Wochen…“ oder spätere Termine „Bitte die volle Sicherheit nach 12 Wochen, ich will nicht in den Urlaub“. Eine Anfrage lautete sogar: „Ich nehme jeden Impfstoff, denn ich möchte bald geimpft werden. Am liebsten möchte ich den Astra von Biontech. Ausschließen möchte ich nur den Astra von Zeneca, den können Sie sich …“.  Keine Sorge, so etwas machen wir nicht. Der Impfstoff wird im Kühlschrank gelagert, im Gesäß würde er zu schnell warm.

Viele Anfragen gibt es auch, ob wir nicht bitte bitte doch  Comirnaty von Biontech für bisher unbekannte Patienten haben. Das „Nein“ ist mittlerweile ein Standardschreiben mit einem Mausklick. Wir haben Vaxzevria von AstraZeneca. Und das ist gut so.

Ein ernsteres Problem sind die Patienten, die einen dringenden und berechtigten Impfwunsch haben, aber gute Gründe, keinen Vektorimpfstoff anzubieten. Man findet das in den Impfanmeldeunterlagen heraus oder in kurzen Gesprächen. Viel Postverkehr, um knapp die Hälfte der Anfragen mit einem Impftermin beantworten zu können.

18.5.2021

Gestern und heute gab es die zwei ersten zwei Impfrunden Vaxzevria für Nichtpatienten. Eine Nachfrage eigener Patienten nach Vaxzevria gab es nicht mehr – die über 60-jährigen Impfwilligen scheinen durchgeimpft. Erfahrungen: Die Bürokratie war beeindruckend, die Absagen im letzten Augenblick häufig. Letztlich wurde an beiden Tagen Impfstoff verworfen. Also haben wir die Anmeldeunterlagen wieder von der Homepage genommen und werden wieder nur Angebote für Bestandspatienten haben. Die Bestandspatienten kommen erfahrungsgemäß zur Impfung. Schade.

2.6.21

Mittlerweile ist bei der Impfung mit Vaxzevria ein Ende absehbar. Es gibt Impfstoff für Zweitimpfungen, für Erstimpfungen haben wir jetzt keinen Impfstoff mehr bekommen – obwohl er bestellt war. Die Lieferung ist so unzuverlässig, dass die Auslieferung des Impfstoffes vom Montag über den Mittwoch scheibchenweise auf den Freitag verschoben wurde.  Nun haben wir noch 1 Woche mit je 3 Zweitimpfungen und 19 Erstimpfungen (wenn denn Impfstoffnachschub kommt) und 6 Wochen mit Zweitimpfungen vor uns, dann ist die Nutzung von Astra-Zeneca Geschichte. Leider hatte eine unserer Patientinnen 3 Wochen nach der Impfung einen Schlaganfall. Es ging gut aus. Trotzdem: Wir werden die Geschichte unabhängig von der Nachfrage nicht fortführen.

1.7.21

Gerne möchte ich Prophet werden. Heute Nachmittag haben wir länger geplant und mit etwas schlechtem Gewissen die ersten drei Patienten kreuzgeimpft (Biontech nach Astra) und schon am Abend kann man nachlesen, dass die Ständige Impfkommission nun für alle Altersgruppen genau diese Kreuzimpfung empfiehlt. Zufällig haben wir für die nächste Woche nur ein Fläschchen AstraZeneca bestellt. So werden wir nur ein Fläschchen entsorgen müssen, denn nun wird niemand mehr sich mit AstraZeneca impfen lassen.

Vielleicht kommt hier im Herbst noch einmal ein Nachtrag, dass die dritte Impfung nach zweimal Biontech besser AstraZeneca ist. Sonst könnte ich diesen Blog jetzt schließen.

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